Sonntag, 27. Juli 2014

Wegen Verführung Minderjähriger (1960) Hermann Leitner

Inhalt: Dr. Rugge (Hans Söhnker) ist ein anerkannter Lehrer am örtlichen Lizeum. Besonders die 17jährige Inge (Marisa Mell), die mit Rugges Tochter Karin (Cordula Trantow) in eine Klasse geht, schwärmt für ihn. Die hübsche junge Frau verbringt gerne ihre Freizeit mit ihrem Freund Paul (Walter Wilz) in Beatclubs und Bars – im Gegensatz zu Karin, die sich bei einer gemeinsamen Verabredung vehement gegen die Avancen von Pauls Freund wehrt.

Karin ist entsprechend skeptisch, als Dr. Rugge Inge bei sich aufnimmt, nachdem ihr mit ihm befreundeter Vater tödlich verunglückte. Sie bemerkt im Gegensatz zu ihrer Mutter (Heli Finkenzeller), die Inge ebenfalls freundlich begegnet, dass diese in ihren Vater verliebt ist und alles daran setzt, ihn für sich zu gewinnen…


Die ab Mitte der 50er Jahre aufkommende Welle an Filmen, die direkt an die Einhaltung der noch sehr konservativ geprägten Moralvorstellungen appellierten, übernahm diese Aufgabe von dem die Kinolandschaft bis dahin bestimmenden Heimatfilm. War die Idealisierung von Ehe und Familie, verbunden mit den gewohnten Geschlechterrollen, in den frühen Nachkriegsjahren noch selbstverständlich, verlor der Heimatfilm diese Vorbildwirkung in den späten 50er Jahren. Reagierend auf die wachsende wirtschaftliche Prosperität und aufkommende Reiselust der Deutschen lag das Gewicht des Heimatfilms zunehmend auf einer komödiantischen Handlung mit Gesangseinlagen in touristisch ansprechender Umgebung (siehe "Im Zenit des Wirtschaftswunders - der Heimatfilm der Jahre 1955 bis 1958"). Parallel entstanden in Folge des großen Erfolgs von "Die Halbstarken" (1956) Filme, die konkreter auf die sich verändernde Sozialisation nach dem Krieg eingingen - sowohl um die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen, als auch um vor den ausschließlich als negativ beschriebenen Konsequenzen zu warnen.

Dieser Prozess lässt sich auch im Werk des österreichischen Regisseurs Hermann Leitner nachvollziehen, der seine Karriere als Regie-Assistent bei "Der Hofrat Geiger" (1948) begann, eine Komödie im frühen Heimatfilm-Gewand, die 1961 mit "Mariandl" ein Remake erfuhr. Mit "Pulverschnee nach Übersee" (1956) und "Ferien auf Immenhof" (1957) gehörten seine ersten Regie-Arbeiten ebenfalls dem Genre an, bevor er mit "Lilli, ein Mädchen aus der Großstadt" (1958) einen zeitgenössischeren Stoff verfilmte, der sich im Rahmen einer Kriminal-Komödie mit der sich wandelnden Rolle der Frau in der Gesellschaft befasste. Mit den Dramen "Wegen Verführung Minderjähriger", "Verdammt die jungen Sünder nicht" (1961) und "Wenn beide schuldig werden" (1962) versuchte Leitner, der in den beiden folgenden Film auch am Drehbuch mitwirkte, eine seriöse Betrachtung der sich verändernden Sozialisation nach dem Krieg und zeigte deren aus seiner Sicht negativen Folgen auf.

Die Parallelen zwischen "Wegen Verführung Minderjähriger" zu Veit Harlans Homosexuellen-Drama "Anders als du und ich" (1957) sind offensichtlich - nicht nur wegen der als Rahmenhandlung fungierenden Gerichtsverhandlung, die dem Thema den Charakter von übergeordneter staatlicher Bedeutung verleihen sollte, sondern auch in der Formulierung der Schuldfrage. Nicht der Einzelne trägt Schuld, sondern die "modernen Zeiten", die damit als eine Art Krankheitsbild ausgewiesen wurden, gegen die es auch ein Gegenmittel geben musste. Wie innerhalb dieser moralisch konnotierten Dramen üblich, wird auch in "Wegen Verführung Minderjähriger" nur das äußere Bild propagiert, ohne zu hinterfragen, woran Ehen tatsächlich scheitern. Allein die wiederholte Bemerkung, ein Mann Anfang 50 wäre "im gefährlichen Alter" - nebenbei der Titel eines Films von 1954, in dem Söhnker auch die Hauptrolle spielte - suggeriert eine rein von außen kommende Gefährdung, gegen die nur angemessene Maßnahmen seitens der Ehefrau getroffen werden müssten. Die Anklage "Wegen Verführung Minderjähriger", der sich der Studienrat Dr. Stefan Rugge (Hans Söhnker) ausgesetzt sieht und von deren Entstehung er im Rückblick vor Gericht berichtet, wird entsprechend als Konsequenz aus der mangelhaften Vorsorge gegen diese zunehmenden Gefahren betrachtet.

Leitners nach einem Drehbuch Wolfgang Schnitzlers entstandener Film versuchte den Spagat zwischen erhobenem Zeigefinger und gleichzeitigem Verständnis und verzichtete im Gegensatz zu Harlan in „Anders als du und ich“ auf direkt Beschuldige. Zu verdanken ist das dem Spiel Hans Söhnkers, der in seiner Rolle als seriöser Studienrat konsequent bleibt, die 17jährigen Inge (Marisa Mell) nicht bloß stellt, sondern die Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Zwar sind die Rollen seiner jederzeit fair und ohne Eifersucht handelnden Ehefrau (Heli Finkenzeller) und seiner Tochter (Cordula Trantow) - den unschuldigen Teenager verkörpernd - idealisiert, aber Marisa Mell kann in einer ihrer ersten Rollen, in dem sie schon früh auf den Typus der Verführerin festgelegt wurde, als ehrlich Verliebte überzeugen.

Entscheidend für die Wirkung des Films ist aber, dass er die Sache beim Namen nennt. Es gibt Partys, fordernde junge Männer und willige Mädchen. Der Mittelteil des Films wird von einem zwar vergleichsweise braven Jazz- und Schlager-Konzert bestimmt, wird aber zum Ausgangspunkt des ersten Kusses zwischen Inge und ihrem Lehrer und führt später konsequenterweise zum Sex. Ob viele Betrachter damals die Mär von den angeblich früher entwickelten Mädchen nach dem Krieg ernsthaft glaubten, die quasi ohne eigenes Zutun zu Verführerinnen wehrloser Männer im „gefährlichen Alter“ wurden, darf bezweifelt werden. Die Warnung davor kam sowieso zu spät – die Zeiten ließen sich nicht mehr zurückdrehen und „Wegen Verführung Minderjähriger“ zeigt auch, warum.

"Wegen Verführung Minderjähriger" Österreich 1960, Regie: Hermann Leitner, Drehbuch: Wolfgang Schnitzler, Darsteller : Hans Söhnker, Marisa Mell, Heli Finkenzeller, Cordula Trantow, Walter WilzLaufzeit : 95 Minuten 

Nächtlicher Überraschungsfilm beim 13. Hofbauer-Kongress zu Nürnberg vom 24. bis 28.07.2014 

weitere im Blog besprochene Filme von Hermann Leitner:

"Verdammt die jungen Sünder nicht" (1961)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen