Dienstag, 16. Juni 2015

Die Nachkriegszeit bis „Schwarzwaldmädel“ - der Heimatfilm der Jahre 1947 bis 1950



4.1. Viele alte und wenige neue Köpfe

Überläufer - "Ulli und Marei" (1948) 
Aufgrund der Annexion Österreichs an das deutsche Reich 1938 wurde die Trennung des deutschsprachigen Films in deutsche und österreichische Produktionen hinfällig. Nach dem Krieg änderte sich diese Situation zwar wieder, aber besonders im Heimatfilm-Genre blieben die Grenzen fließend. Unabhängig von der Herkunft der Produktionsgelder, entstanden in der Boom-Phase der 50er Jahre nahezu ausschließlich Heimatfilme, in denen Kreative aus beiden Ländern zusammenarbeiteten. Für die unmittelbaren Nachkriegsjahre galt das noch nicht, denn in Österreich durfte früher wieder mit der Filmproduktion begonnen werden, weshalb die Heimatfilme des Jahrgangs 1948 fast ausschließlich unter österreichischer Hoheit entstanden, sieht man von Rolf Meyers zwei Filmen „Zugvögel“ und „Menschen in Gottes Hand“ ab, die dieser von der von ihm gegründeten „Jungen Film Union“ selbst produzierte und die heute als die ersten westdeutschen Filme nach dem Krieg gelten. Neben diesen neu gedrehten Filmen kamen wenige Jahre nach Kriegsende erstmals Filme in die deutschen Kinos, die noch in den letzten Jahren der Nazi-Diktatur entstanden waren. Diese „Überläufer“ genannten Filme mussten teilweise noch fertiggestellt werden, erhielten auch andere Filmtitel, sind inhaltlich und inszenatorisch aber noch in der Zeit bis 1945 verankert.

"Rendezvous im Salzkammergut" (1948) 
Heute werden die Nachkriegsjahre vor allem mit den „Trümmerfilmen“ verbunden, die versuchten, die schwierige Situation im zerstörten Deutschland realistisch abzubilden, aber gemessen an einem Gesamtvolumen von etwa 150 Filmen bis zum Jahr 1950 hatte auch der Heimatfilm schon früh Gewicht. Bis im September 1950 „Schwarzwaldmädel“ als erster deutscher Farbfilm nach dem Krieg in die Kinos kam, der gemeinhin als Initialzündung des „Heimatfilm“ - Genres gilt (siehe dazu „Vom Bergdrama zur Sex-Klamotte – der Heimatfilm im Zeitkontext“), waren nicht nur schon ca. 30 Heimatfilme herausgekommen, auch die Gruppe der Kreativen hatte sich inzwischen wieder formiert. Mit Rudolf Prack, Paul Richter, Attila Hörbiger und Hans Holt gaben schon früh die seit den 30er Jahren bekannten Heimatfilmhelden ihre Visitenkarte ab, ebenso wie Maria Andergast, Beppo Brem oder Curd Jürgens, der nach 1945 in die erste Darsteller-Riege aufsteigen sollte. Auch die Karrieren der damals 20jährigen Sonja Ziemann - vor 1945 in kleineren Nebenrollen besetzt - und den gleichaltrigen Neuentdeckungen Maria Schell und Waltraut Haas nahmen direkt nach dem Krieg Fahrt auf. In dem heute unbekannten „Maharadscha wider Willen“ (1950) war Sonja Ziemann erstmals gemeinsam mit Rudolf Prack auf der Leinwand zu sehen, doch erst der große Erfolg von „Schwarzwaldmädel“ ließ sie zum Film-Traumpaar werden.

"Das Siegel Gottes" (1948)
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei den Regisseuren und Drehbuchautoren beobachten, die häufig auch als Darsteller in ihren Produktionen auftraten. Joe Stöckel, seit den frühen 30er Jahren einer der meist beschäftigten Heimatfilm-Spezialisten, war ab 1949 („Ein Herz schlägt für dich“ mit Rudolf Prack) wieder voll im Geschäft, ebenso die Drehbuchautoren Alois Johannes Lippl und Alexander Lix („Das Siegel Gottes“, 1949). Die Genre-erfahrenen Regisseure Eduard von Bosordy („Angela“, 1949), Gustav Ucicky („Der Seelenbräu“, 1950) und Hubert Marischka („Ein Mann gehört ins Haus“, 1948) machten dort weiter, wo sie Ende des Kriegs aufgehört hatten, und Luis Trenker entwickelte in Italien seinen ersten Nachkriegsfilm „Duell in den Bergen“ (1950) mit der späteren Heimatfilm-Ikone Marianne Hold in ihrer ersten großen Rolle. Nur für den renommierten „Münchhausen“ (1943) – Regisseur Josef von Baky bedeutete das Genre Neuland („Das Tor zum Paradies“, 1949). Mit Harald Reinl („Bergkristall“, 1949) und Franz Antel („Kleiner Schwindel am Wolfgangsee“, 1949) stießen in dieser Phase auch zwei junge Regisseur neu hinzu, die das Genre in den 50er Jahren maßgeblich mit prägen sollten. 


4.2. Die Ursache des Erfolgs von „Schwarzwaldmädel" – Aktion oder Reaktion?

Sonja Ziemann in "Schwarzwaldmädel" (1950)
Verglichen damit waren Regisseur Hans Deppe und Autor Bobby E.Lüthge spät an der Reihe, als sie ihre Arbeit im Heimatfilm-Genre mit den Dreharbeiten zu „Schwarzwaldmädel“ wieder aufnahmen, aber das ließe übersehen, dass sie seit 1949 viel beschäftigt einen Film nach dem anderen gedreht hatten, darunter gemeinsam die Komödie „Eine Nacht im Separee“ (1950), ebenfalls mit Sonja Ziemann in einer Hauptrolle. Nimmt man die erste Ludwig Ganghofer-Verfilmung nach dem Krieg hinzu - „Der Geigenmacher von Mittenwald“, zu dem Peter Ostermayr das Drehbuch schrieb - und den ebenfalls parallel zu "Schwarzwaldmädel" entstandenen „Der Wallnerbub“, Alfred Stögers dritter Heimatfilm seit 1948, wird offensichtlich, wie engmaschig und produktiv die Branche 1950 schon arbeitete. Bis März 1951 kamen acht weitere Heimatfilme dazu, darunter auch „Grenzstation 58“ mit den Vorkriegs-Stars Hansi Knoteck und Sepp Rist in den Hauptrollen. Jeder dieser Filme war schon vor dem überragenden Erfolg von „Schwarzwaldmädel“ konzipiert worden.

Marianne Hold in "Duell in den Bergen" (1950)
Erst ab Herbst 1951 kam es zu einer signifikanten Erhöhung der Produktionszahlen. Bis Ende 1952 entstanden etwa 40 Heimatfilme, bevor die Zahlen im Jahr 1953 wieder auf das Niveau von 1950 zurückgingen. Eine Entwicklung, die zwar für die Initialzündung durch „Schwarzwaldmädel“ spricht, gleichzeitig aber auch das schon enorme Interesse am Heimatfilm-Genre zum Entstehungszeitpunkt des Films bestätigt. Es steht außer Frage, dass der erste westdeutsche Farbfilm nach dem Krieg der Branche einen enormen Schub gab, aber das Bedürfnis nach Ablenkung vom Alltag und der Vermittlung eines Heimatgefühls inmitten chaotischer Verhältnisse war schon geweckt. Dank des Rückgriffs auf bewährte Kräfte hatte sich die Infrastruktur seit Kriegsende regeneriert und sorgte ab 1948 für einen kontinuierlichen Output. Dadurch war die Filmindustrie in der Lage, kurzfristig auf die erhöhte Nachfrage zu reagieren. Die Frage, ob es ohne „Schwarzwaldmädel“ zu einem vergleichbaren 50er Jahre Heimatfilm-Boom gekommen wäre, bleibt spekulativ, aber angesichts dieser schon früh nach dem Krieg entstandenen Ausgangssituation ist es zumindest vorstellbar.


Die Nachkriegszeit 1947 bis 1950:

27.02.1947 Jugendliebe - Eduard von Borsody (Überläufer – Beginn der Dreharbeiten 1944)
09.05.1947 Die Glücksmühle - Emmerich Hanus (A - früher österreichischer Nachkriegsfilm)
23.05.1947 Zugvögel - Rolf Meyer ("Trümmerfilm ohne Trümmer",
                                                                      erster Film der britischen Besatzungszone)
27.01.1948 Menschen in Gottes Hand - Rolf Meyer
27.03.1948 Rendezvous im Salzkammergut - Alfred Stöger (A – Musical mit Hans Holt)
21.04.1948 Ein Mann gehört ins Haus - Hubert Marischka (Überläufer – Dreharbeiten 1945)
23.04.1948 Ulli und Marei - Leopold Hainisch (A - Überläufer – Dreharbeiten 1945, 
                                                                                 veröffentlicht als „Der Berghofbauer“)
13.08.1948 Die Verjüngungskur - Harald Röbbeling (A - Der Bauernschwank erhielt 
                                                                                                   Aufführungsverbot in Tirol)
16.08.1948 Via Mala - Josef von Báky (Überläufer – Dreharbeiten 1943/44, 
                                                 nach dem Roman von John Knittel, 1961 erneut verfilmt)
15.09.1948 An klingenden Ufern - Hans Unterkircher (A - mit Curd Jürgens)
17.09.1948 Gipfelkreuz - Alfons Benesch (A)
05.11.1948 Maresi - Hans Thimig (A – mit Maria Schell)
19.11.1948 Der Hofrat Geiger - Hans Wolff (A – als „Mariandl“  1961 erneut verfilmt)
14.12.1948 Die Sonnenhofbäuerin - Wilfried Fraß (A)


"Der Geigenmacher von Mittenwald" (1950) nach Ludwig Ganghofer





















07.01.1949 Schuld allein ist der Wein - Fritz Kirchhoff (nach dem Bauernschwank 
                                                                 "Schweinefleisch in Dosen" von Paul Neuhaus)
12.04.1949 Ein Herz schlägt für dich - Joe Stöckel (mit Rudolf Prack, 
                                                                    nach dem Roman von Wilhelmine von Hillern)
24.06.1949 Das Siegel Gottes - Alfred Stöger (A – Drehbuch 
                               Alexander Lix, nach Motiven von Peter Rosegger "Das ewige Licht)
28.09.1949 Die drei Dorfheiligen - Ferdinand Dörfler (mit Joe Stöckel 
                                            und Beppo Brem, nach dem Bauernschwank von Max Neal)
01.10.1949 Angela - Eduard von Borsody (A - Drehbuch Alexander Lix,
                                        mit Armin Dahlen, sein erster Heimatfilm, bekannt als "Weißes Gold")
23.10.1949 Bergkristall - Harald Reinl (DA - bekannt als
                                 „Der Wildschütz von Tirol“, nach dem Roman von Adalbert Stifter)
21.12.1949 Das Tor zum Paradies - Josef von Báky (Drehbuch Erna Fentsch, mit Carl Wery, 
                                           nach dem Roman „Brandner Kaspar“ von Franz von Kobell)
23.12.1949 Das goldene Edelweiss - Paul Pfeiffer  
27.01.1950 Kleiner Schwindel am Wolfgangsee - Franz Antel (A - mit  Hans Holt und 
                                                                           Gunter Philipp, Drehbuch Gunter Philipp)
10.02.1950 Schicksal am Berg - Ernst Hess
31.03.1950 Der Dorfmonarch - Joe Stöckel (mit Joe Stöckel und Beppo Brem)
07.04.1950 Die Kreuzlschreiber - Eduard von Borsody (Nach dem Bauernschwank 
                                                                                                      von Ludwig Anzengruber)
25.08.1950 Der Seelenbräu - Gustav Ucicky (A – Drehbuch Alexander Lix, 
                                                                                nach dem Roman von Carl Zuckmayer)
01.09.1950 Aufruhr im Paradies - Joe Stöckel (mit Joe Stöckel)
07.09.1950 Schwarzwaldmädel - Hans Deppe (mit Rudolf Prack und Sonja Ziemann, Drehbuch
                 Bobby E.Lüthge nach der Operette von August Neidhart, Remake von 1933)
28.09.1950 Cordula - Gustav Ucicky (A – mit Paula Wessely und Attila Hörbiger
                                                                           nach einem Gedicht von Alfred Wildgans)
05.10.1950 Duell in den Bergen - Luis Trenker (I - mit Marianne Hold (ihr erster Heimatfilm))
10.10.1950 Föhn - Rolf Hansen (mit Hans Albers, Drehbuch Erna Fentsch 
                            und Arnold Fanck, Remake von "Die weiße Hölle vom Piz Palü" 1929)
24.10.1950 Auf der Alm da gibt's koa Sünd' - Franz Antel (A - mit Maria Andergast)
04.12.1950 Die fidele Tankstelle - Joe Stöckel (mit Hansi Knoteck und Joe Stöckel,
                                                        Drehbuch Hans H. König)
10.12.1950 Der Geigenmacher von Mittenwald - Rudolf Schündler (mit Paul Richter, Drehbuch Peter
 Ostermayr, nach dem Drama von Ludwig Ganghofer, Remake von "Die blonde Christel" 1933)
12.12.1950 Der Wallnerbub - Alfred Stöger (A - mit Josef Meinrad, 
                                                                    nach dem Roman von Karl Heinrich Waggerl)
18.12.1950 Gruß und Kuss aus der Wachau - Fritz Schulz (A - mit Waltraud Haas,
                                                                                      nach der Operette von Carl Farkas)

Gesamtinhalt Essay Heimatfilm:


1. Einleitung und Inhalt:
1.1. Spiegel des Zustands einer Gesellschaft
1.2. Die 50er Jahre – der Versuch von Abgrenzung und historischer Einordnung
1.3. Von Ludwig Ganghofer über den Nationalsozialismus bis zum „Schwarzwaldmädel“
1.4. Kontinuierliche Weiterentwicklung des Genres
1.5. Zielsetzung
1.6. Quellen

2.1. Pioniere des Heimatfilms
2.2. Das Berg-Drama

3. Die Phase des Nationalsozialismus - der Heimatfilm der Jahre 1934 bis 1945
3.1. Der "innere Zirkel" der Heimatfilm-Macher
3.2. Der Heimatfilm als Vehikel der NS-Ideologie?

4. Die Nachkriegszeit bis "Schwarzwaldmädel" – der Heimatfilm der Jahre 1947 bis 1950
4.1. Viele alte und wenige neue Köpfe
4.2. Die Ursache des Erfolgs von "Schwarzwaldmädel": Aktion oder Reaktion?

5. Die erste Boom-Phase – der Heimatfilm der Jahre 1951 bis 1954
5.1. Der "Innere Zirkel" wächst
5.2. Die neuen "Mannsbilder"
5.3. Die weiblichen Stars

6. Im Zenit des Wirtschaftswunders - der Heimatfilm der Jahre 1955 bis 1957
6.1. Höhepunkt und beginnender Niedergang
6.2. Lust an der Freizeit statt Flucht aus dem Alltag
6.3. Die Protagonisten der zweiten Welle
6.4. Die Stunde der Komödianten

7. Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969
7.1. Gibt es ein Ende des Heimatfilms?
7.2. Die unaufhaltbare Modernisierung
7.3. Die alten und die neuen Männer

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