Sonntag, 11. Oktober 2015

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (1954) Wolfgang Liebeneiner

Die alten Freunde Pittes (Heinz Rühmann) und Hannes (Hans Albers)
Inhalt: Hannes (Hans Albers) kommt an Bord eines Schiffes der Handelsmarine nach acht Jahren auf See wieder in seine Heimatstadt Hamburg zurück. Er will endgültig an Land bleiben und freut sich auf das Wiedersehen mit seinem alten Freund Pittes (Heinz Rühmann), der auf der Reeperbahn das „Hippodrom“ betreibt, ein Vergnügungslokal mit Pferdedressur-Vorführungen. Schon auf dem Weg dorthin erfährt er, dass sich das Etablissement inzwischen „Galopp-Diele“ nennt, nicht die einzige Veränderung der letzten Jahre, wie Hannes schnell feststellen muss.

Pittes mit Louise (Fita Benkhoff)
Der Geschmack der Besucher der Reeperbahn hat sich erheblich gewandelt, weshalb die „Galopp-Diele“ inzwischen ein tristes Dasein mit nur noch wenigen Gästen führt. Auch Hannes Animierkünste – er schnappt sich ein Akkordeon und gibt ein paar Lieder zum Besten – können nur kurz für Abhilfe sorgen. Doch es gibt auch erfreuliches festzustellen, denn Anni (Helga Franck), die Tochter seines Freundes, ist inzwischen zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen, und wäre genau die richtige Wahl für den alten Frauenhelden, um endlich sesshaft zu werden. Er ahnt nicht, zu welchen Komplikationen das führt…

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" wurde der dritte und letzte gemeinsame Film der großen Stars Hans Albers und Heinz Rühmann. Dass man damit nach dem Krieg wieder an alte Erfolge anknüpfen wollte, lag nah - nicht ohne Grund nannte man den Film nach dem Schlager, den Hans Albers in "Große Freiheit Nr.7" (1944) so trefflich sang und bis heute zu anhaltendem Ruhm verhalf. Albers gesamte Rolle lehnte sich an seinen 1944 im Käutner-Film gespielten Charakter an, nur weniger tíefgründig und ambivalent angelegt. Erneut konnte das Hamburger Urgestein unter dem Namen "Hannes" seinen Charme und seine Gesangsstimme spielen lassen. 

Rühmanns solide Rolle war dagegen frei erfunden und kam an den Esprit seines Partners nicht heran. Zumindest zur Entstehungszeit des Films, denn die Filmgeschichte änderte die damalige Gewichtung. Während der 1960 gestorbene Albers langsam in Vergessenheit geriet, mehrte Rühmann noch jahrzehntelang seinen Ruhm als Schauspieler. Die DVD-Veröffentlichungen des Films werben heute nur noch mit seinem Namen. Das änderte aber nichts an der Wirkung ihrer damaligen Rollen. Rolf Olsen besetzte in seinem gleichnamigen Remake von 1969 die Rolle des "Hannes" nicht ohne Grund mit Curd Jürgens, einem nicht weniger charismatischen Darsteller als Albers.


"Tausend Mädchen müssen her!" - "Tausend nackte Mädchen müssen her!" - "Aber nur schöne!“ – „Und die such‘ ich aus!"

Die schaumgebadete Marion (Sybil Werden)
Kein Dialog aus einem Erotik-Film der späten 60er Jahre, sondern von zwei der populärsten deutschen Filmstars - Heinz Rühmann und Hans Albers. 1954, zu einem Zeitpunkt, in dem noch strenge moralische Standards galten, konnte ein solches Gespräch nur vor dem Hintergrund der Reeperbahn stattfinden, der berühmt-berüchtigten "sündigsten Meile der Welt". Für den gebürtigen Hamburger Hans Albers vertrautes Terrain, das er schon in "Große Freiheit Nr.7" (1944) betrat, in dem er als "Singender Seemann" auf der Bühne stand und den aus den 20er Jahren stammenden Schlager "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" zu andauernder Berühmtheit brachte. Nicht zufällig wurde dieser zum Namensgeber für einen erneuten St.Pauli-Film, in dem Albers wieder als "Hannes" seinen Charme, seine Sangeskunst und nicht zuletzt seine Schlagfertigkeit spielen lassen konnte.

"Große Freiheit" St.Pauli 1954
Doch anders als unter Helmut Käutners Regie im kurz vor dem Kriegsende entstandenen Vorgänger war Albers hier nicht der alles beherrschende Star, sondern bekam noch Heinz Rühmann zur Seite gestellt. Eine zuvor nur in "Bomben auf Cassino" (1931) und "Der Mann, der Sherlock Holmes war" (1937) praktizierte Kombination, die hier dem Versuch der beiden Mimen geschuldet war, ihre nach dem Kriegsende ins Stocken geratenen Karrieren wieder in Schwung zu bringen – eine Kalkulation, die aufging. Für Hans Albers blieben die 50er Jahre bis zu seinem Tod 1960 auf gleichbleibend gutem Niveau und für den elf Jahre jüngeren Heinz Rühmann, der im Jahr zuvor schon mit „Briefträger Müller“ (1953) aus dem Loch der Nachkriegsjahre herausgekommen war, bedeutete „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ eine weitere Forcierung seiner kommenden Erfolgsjahre (siehe dazu das „Heinz-Rühmann Porträt“). Eine Kalkulation, die auch der Story anzumerken war, die sich nicht nur bei „Große Freiheit Nr.7“ bediente, sondern ganz auf die Charaktere seiner beiden Hauptdarsteller zugeschnitten war.

Hannes will in Hamburg sesshaft werden
Hannes Wedderkamp (Hans Albers) kehrt nach acht Jahren auf See wieder nach St.Pauli zurück, um endlich sesshaft zu werden. Sein Weg führt ihn auf die Reeperbahn ins „Hippodrom“, das sein bester Freund Pittes Breuer (Heinz Rühmann) seit vielen Jahren leitet, inzwischen aber in „Galopp-Diele“ umbenannt wurde. Doch auch der zeitgemäßere Name half nicht, denn mit Pferdekunststückchen lassen sich auf der Reeperbahn der 50er Jahre keine Gäste mehr anlocken, so sehr sich Pittes auch als Animateur bemüht – einzig „Sex sells“. Statt Umsatz lauert nur der Gerichtsvollzieher, der die geliebten Pferde zur Schlachtbank führen will. Dagegen kann auch Hannes nichts ausrichten, auch wenn er sich wie einst das Schifferklavier schnappt, um mit schmissigen Liedern das Publikum anzulocken. Mit seinen Auftritten sorgte er in „Große Freiheit Nr.7“ noch für Furore, hier will Hannes seinem Freund das notwendige Geld leihen, um mit neuer Einrichtung eine moderne Revue auf die Beine stellen zu können.

Pittes mit Tochter Anni (Helga Franck)
Die vorhersehbare Story lebt vom Gegensatz Albers/Rühmann. Hannes und Pittes sind vor vielen Jahren gemeinsam zur See gefahren, auch wenn davon in der Gegenwart nur noch wenig zu spüren ist. Während Albers gewohnt überzeugend den Weltenbummler gab, der gegenüber jeder Frau seinen Charme spielen lässt, verkörperte Rühmann den soliden Familienvater, dem nach dem frühen Tod seiner Frau vor allem das Wohlergehen seiner inzwischen erwachsenen Tochter Anni (Helga Franck) am Herzen liegt. Mit Louise (Fita Benkhoff) lebt noch eine gleichaltrige Frau in Pittes‘ Haushalt, deren Charakter komplett konstruiert wirkt. Beider Verhalten entsprach ganz dem Klischee eines alten Ehepaars – sie kontrolliert ihn, er sucht sich Freiräume, körperliche Nähe Fehlanzeige – ohne aber verheiratet zu sein, da Pittes dazu keine Lust verspürt. Der Gedanke dahinter lag nah, denn keine weitere Person durfte das emotionale Dreieck Pittes, Hannes und Tochter Anni stören, das hier für die Dramatik sorgen sollte.

Hannes kümmert sich um das Liebespaar Anni und Jürgen (Jürgen Graf)
Denn wie sich schnell herausstellt ist Anni die leibliche Tochter von Hannes. Während der Hallodri auf den Weltmeeren unterwegs war, hatte der brave Pittes dessen schwangere Freundin geheiratet, um das Kind zu legitimieren. Pittes, der nur für sein Adoptivkind lebt, hat Angst, seinem alten Freund die Wahrheit zu sagen, da er befürchtet, dass er sie ihm daraufhin wegnimmt. Ihm bleibt aber nichts anderes übrig, als er den Eindruck bekommt, dass der Frauenheld ausgerechnet Anni als Zukünftige ins Auge fasst. Wie zu erwarten kommt es zum Bruch zwischen den Freunden, aber nichts daran wirkt authentisch. Hannes betont zwar wiederholt, dass Annis Mutter seine einzige große Liebe war. Trotzdem hatte es ihn damals nicht gestört, dass sein bester Freund Pittes sie in seiner Abwesenheit geheiratet hatte, ohne dass er die nachvollziehbaren Gründe dafür kannte.

Pittes gerät in Schwierigkeiten
An einem echten Konflikt war die zwischen Komödie und leichtem Drama angelegte Story nicht interessiert, wie auch an den weiteren dramaturgischen Elementen deutlich wird. Die Gefahr einer Beziehung von Anni zu Hannes wird nicht ernsthaft erwogen, da die junge Frau ihren Chef (Jürgen Graf) liebt, Sohn des reichen Reeders Brandstetter (Gustav Knuth). Dieser steht der aus seiner Sicht nicht standesgemäßen Verbindung ablehnend gegenüber – eine Haltung die angesichts des sympathischen Gustav Knuth kaum Bestand haben durfte. Noch aufgesetzter wirkt die Kriminalstory um ein paar lichtscheue Gesellen (darunter Wolfgang Neuss als wenig tough auftretender Bandit), die verbotenerweise Ladung aus gesunkenen Kriegsschiffen stehlen wollen. Vielleicht konnte man Mitte der 50er Jahre noch etwas Thrill mit dem Modell eines versunkenen U-Boots und einer brennenden Zündschnur erzeugen, aber darüber hinaus hatte die Chose nur den Zweck, die Freunde wieder miteinander zu versöhnen.

Spaß auf der Reeperbahn
Wirklich von Bedeutung war das nicht, entscheidend blieb der Handlungsort St.Pauli Reeperbahn sowohl als klar definierte Heimat, als auch als außergewöhnlich freizügiger Lebensraum. Helmut Käutner setzte sich in „Große Freiheit Nr.7“ über die damals verordnete Moral hinweg, beschrieb Prostitution und außerehelichen Geschlechtsverkehr als Normalität in einem ernsthaften Kontext. Regisseur Wolfgang Liebeneiner, während der NSDAP-Diktatur eng mit dem Propaganda-Ministerium verbunden („Die Entlassung“, 1942), nach 1945 auch Verfechter engagierter („Liebe ‘47“, 1949) und satirischer Filme („1.April 2000“, 1950), verlieh „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ mehr einen komödiantischen Gestus, nutzte aber auch den moralischen Freiraum. Nicht in jeder Hinsicht – Anni ist ein Vorbild an anständiger Tochter und abschließend heiratet Pittes auch die geduldige Louise – aber so weit, dass der Spaß und die Lebenslust immer im Vordergrund bleiben. Rühmann und Knuth lassen es in den „Bumslokalen“ richtig krachen und Hannes teilt zeitweise das Bett mit der Tänzerin Marion (Sybil Werden). Für Hannes natürlich keine dauerhafte Beziehung, denn die hat er nur mit dem Meer – darin ähnelte Liebeneiners Film wieder dem Käutnerschen Vorbild.

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" Deutschland 1954, Regie: Wolfgang Liebeneiner, Drehbuch: Gustav Kampendonck, Curt J.Braun, Darsteller : Hans Albers, Heinz Rühmann, Fita Benkhoff, Gustav Knuth, Helga Franck, Sybil Werden, Wolfgang Neuss, Wolfgang Müller, Laufzeit : 106 Minuten

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