Montag, 31. Oktober 2016

Die zornigen jungen Männer 1960 Wolf Rilla


Inhalt: Während auf St.Pauli ein Pfarrer öffentlich vor einer großen Menschenmenge gegen die Verrohung der bürgerlichen Sitten anredet, befindet sich Fred Ploetz (Hansjörg Felmy), erfolgreicher Jung-Unternehmer einer Hamburger Werbe-Agentur, voll in seinem Element. Umgeben von hübschen Models feilt er an seiner nächsten Bilder-Strecke. Doch diesmal fällt ihm eine junge Frau ins Auge, die sich ihm nicht wie üblich an den Hals schmeißt. Die hübsche Studentin Kirsten (Gisela Tantau) ist so selbstbewusst wie anständig, eine Mischung die Fred ernsthaft zu interessieren beginnt. Er bemüht sich um sie und verliebt sich nach langer Zeit erstmals wieder, nachdem er zuvor ständig wechselnde weibliche Bekanntschaften bevorzugte.

Seine neue Liebe hält ihn aber nicht davon ab, einen wenig seriösen Auftrag von einem seiner wichtigsten Kunden, dem Unternehmer Pflueger (Hans Nielsen), anzunehmen. Er soll dafür sorgen, dass ein Oberarzt, dessen Forschungsarbeit Pflueger aus geschäftlichen Gründen ein Dorn im Auge ist, die Reputation verliert. Ploetz plant schon seine Vorgehensweise, aber als er feststellt, dass es sich bei dem Arzt Dr.Schneider (Horst Frank) um einen alten Kriegskameraden handelt, nimmt er Abstand von seinem Vorhaben. Doch Pflueger hat auch die attraktive Irene (Dawn Addams) auf Dr.Schneider angesetzt.

Es dauert etwas, bis Fred (Hansjörg Felmy) zornig wird
"The angry young men" ist ein stehender Begriff für eine gegen ihre Väter-Generation aufbegehrende männliche Jugend, im 50er Jahre Hollywood-Kino personifiziert durch James Dean und Marlon Brando, in Deutschland in abgeschwächter Form durch Horst Buchholz ("Die Halbstarken" (1956)). Bei den "zornigen jungen Männern" in Wolf Rillas Film von 1960 handelte es sich dagegen um Enddreißiger, beruflich schon situiert, aber noch ohne familiäre Bindungen. Geschuldet war diese Situation der besonderen Lage nach dem Ende des Krieges. Wiederaufbau und Wirtschaftswunder hatten zwar eine sich wandelnde Sozialisation zur Folge, die moralische Standards und Geschlechterrollen zu verändern begann, insgesamt war die bundesdeutsche Gesellschaft 1960 aber noch sehr konservativ. Allein Männer trafen geschäftliche Entscheidungen und um bei der älteren Generation ernst genommen zu werden, bedurfte es eines angemessenen gesellschaftlichen Status.

Anwalt Faber (Joachim Fuchsberger) verweigert die Glorifizierung der Armee
Stellvertretend stehen die drei Hauptfiguren für prägende Berufsgruppen der jungen Republik: der Leiter einer Werbe-Agentur, der Oberarzt und der Rechtsanwalt. Gespielt wurden sie von drei populären Darstellern - Hansjörg Felmy, Horst Frank und Joachim Fuchsberger - die real jünger waren als die von ihnen verkörperten Männer des Jahrgangs 1922, deren Freundschaft noch auf ihrer gemeinsamen Zeit als Soldaten während des Kriegs fußte. Nur Joachim Fuchsberger, Jahrgang 1927, wurde 1943 noch eingezogen, Felmy und Frank waren dafür zu jung. Deutlich wird an dieser Konstellation nicht nur, wie bindend diese gemeinsame Erfahrung mehr als ein Jahrzehnt später noch war, sondern dass sich daraus ein moralischer Anspruch ableitete. Als Fred Ploetz (Hansjörg Felmy) in dem Arzt, gegen den er im Auftrag des Großindustriellen Pflueger (Hans Nielsen) integrieren soll, seinen alten Kameraden Gerd Schneider (Horst Frank) wieder erkennt, nimmt er Abstand von seinem Vorhaben. Zuvor ausschließlich an Geld und Vergnügen interessiert, beginnt Ploetz umzudenken. Die gemeinsame Soldatenzeit wird zum Ausgangspunkt seiner Läuterung und zur Auflehnung gegen die Machenschaften des rücksichtlosen Geschäftemachers.

Partytime bei Fred...
Fred Ploetz steht nicht nur im Mittelpunkt der Handlung, sondern ist die einzige Figur, der eine Entwicklung zugestanden wird, auch wenn der Anlass dafür aus heutiger Sicht konstruiert wirkt. An ihm, dem Werbefachmann - ein Berufsbild, das erst durch die Wirtschaftswunderjahre und dem damit aufkommenden Konsum populär wurde - arbeitete sich der moralisch aufklärerische Gestus des Films ab. Ploetz ist ein Hallodri, der seine Werbe-Firma nicht nur für zahlreiche Frauenbekanntschaften nutzt, sondern sich Jedem andient, der ihn ordentlich bezahlt. Hemmungen kennt er nicht, was sich auch in seinen Partys zeigt, die er großzügig mit viel Alkohol und Sex veranstaltet. Den Auftrag seines Großkunden Pflueger, die Forschungsarbeit des Oberarztes verschwinden zu lassen, nimmt er sofort an. Darin hatte dieser nachgewiesen, dass die von Pfluegers Firma in Lebensmitteln verwendeten chemischen Zusatzstoffe krebsverursachend sind. Das hätte Einfluss auf ein neues, lückenhaftes Lebensmittelgesetz, dass der Bundestag verabschieden will. 

"Die Handlung und die Figuren des Films sind frei erfunden, sollten dennoch Ähnlichkeiten mit bestehenden Zuständen erkennbar sein, so sind diese wohl unvermeidlich" (zu Beginn des Films eingeblendete Texttafel)

...und dessen Erkenntnisse im Krankenhaus dank Dr.Schneider
Der gebürtige Berliner und englische Staatsbürger Wolf Rilla, der als Kind mit seinen Eltern 1934 aus Deutschland emigriert war, und im Gegensatz zu seinem Vater, dem Schauspieler Walter Rilla, nach dem Krieg nicht mehr zurückkehrte, schuf mit „Die zornigen jungen Männer“ seinen einzigen deutschen Film nach einem Drehbuch des Schriftstellers Wolf Berthold. Dieser wurde in den 50er Jahren bekannt für seine in Illustrierten veröffentlichten „Tatsachenromane“, die in ihrer Mischung aus Kolportage, Unterhaltung und Gesellschaftskritik den Nerv der Zeit trafen und heute ein authentisches Bild des damaligen Lebensgefühls vermitteln können. Nach seinen Vorlagen waren zuvor „Nachts, wenn der Teufel kam“ (1957) über einen Serienmörder während der Zeit des Nationalsozialismus und der Anti-Kriegsfilm „Kriegsgericht“ (1958) entstanden, er entwarf aber auch ein zeitgenössisches Bild der Bundesrepublik in „Madeleine Tel.13 62 11“ (1958) und "Am Tag als der Regen kam" (1959), deren Schwerpunkt auf den sozialen Veränderungen nach dem Krieg lag.

Dr.Schneider (Horst Frank) erliegt der attraktiven Irene (Dawn Addams)...
Deren Mischung aus Gesellschaftskritik und moralischem Zeigefinger prägte auch „Die zornigen jungen Männer“. Die ernsthafte Thematik der Lebenmittelverunreinigung wird überdeckt von der Schilderung einer vergnügungssüchtigen Jugend. Die Offenlegung der Doppel-Moral des Staates, der eine Frau wegen „Beihilfe zur Unzucht“ verurteilen will, weil sie den Verlobten ihrer Untermieterin vor deren Hochzeit in ihrer Wohnung übernachten ließ, gleichzeitig aber gerne die Steuereinnahmen aus dem horizontalen Gewerbe einnimmt, wird kontrastiert von einem rückständigen Frauenbild. Diese ambivalente Haltung zeigte sich auch in den Charakterisierungen der Protagonisten. Horst Frank wird in seiner Rolle als Oberarzt zwar eine Schwäche für das weibliche Geschlecht zugestanden, die ihm beinahe zum Verhängnis wird, aber in seiner beruflichen Position bleibt er integer und standfest. Joachim Fuchsberger ist als Anwalt ganz charakterfester Profi. Ihre traditionellen Berufe werden nicht in Frage gestellt, das moderne Bild des Werbe-Grafikers, der sein Geld vor allem mit Fotos von leicht bekleideten Frauen zu verdienen scheint, dagegen schon.

...wie von Generaldirektor Pflueger (Hans Nielsen) beabsichtigt
Dass Hansjörg Felmy in seiner Rolle nicht vollständig demontiert wird, verdankt er dem Drehbuch-Trick, seine Verfehlungen in die Vergangenheit zu verlegen. Schon in einer der ersten Szenen des Films begegnet er der hübschen Studentin Kirsten (Gisela Tantau) und verliebt sich nach langer Zeit erstmals wieder, nachdem er in den Jahren zuvor nur wechselnde Affären hatte. Er beginnt eine ernsthafte Beziehung mit Kirsten und entdeckt sein Gewissen wieder. Trotzdem kommt er nicht ganz ungeschoren davon – so viel Strafe musste sein. Auch Hans Nielsen als gewissenloser Unternehmer Pflueger muss sich am Ende eine Niederlage eingestehen, aber der Film wagte nicht, die Rolle des Kapitalisten ernsthaft in Frage zu stellen. Als er erkennt, dass er diesmal an einen stärkeren Gegner gekommen ist, bewahrt er Contenance und zieht die Konsequenzen. Dass er bei seinem nächsten geschäftlichen Vorhaben mit mehr Skrupel vorgehen wird, ist deshalb nicht zu erwarten.

Die eigentlichen Verlierer in „Die zornigen jungen Männer“ sind die Frauen, genauer die beiden gegensätzlich gezeichneten weiblichen Protagonistinnen. Die englische Darstellerin Dawn Addams, im deutschen Film auf die Rolle der „Femme fatale“ festgelegt ("Die feuerrote Baronesse" (1959)), prostituiert sich im Auftrag Pfluegers, um den Oberarzt Schneider in eine verfängliche Situation zu bringen. Nach einer gemeinsamen Nacht klagt sie ihn fälschlich der Vergewaltigung an. Aus der Klemme hilft ihm dessen cooler Kamerad, Anwalt Dr.Jürgen Faber (Joachim Fuchsberger), der den Spieß einfach umdreht. Er macht sich an die attraktive Irene (Dawn Addams) heran, die sich in ihn verliebt und ihn mit zu sich nach Hause nimmt. Bevor sie im Bett landen, klärt Faber sie über seine wahren Absichten auf und fordert sie auf, ihre Anklage wieder zurückzuziehen, wenn sie verhindern will, dass ihre Liason bekannt wird. Sie hat keine Wahl, denn als Frau wäre sie diskreditiert und vor Gericht unglaubwürdig.

Moralpredigt
Die Studentin Kirsten ist das genaue Gegenteil von Irene, ein anständiges Mädchen. Obwohl Fred es ernst mit ihr meint, begeht er in einer Stress-Situation bei einer seiner Partys den Fehler, sie wegen ihrer Bravheit zu provozieren. Sie solle sich ihre Komplexe abreagieren und mit ein paar Anderen schlafen – einen Vorschlag, den sie noch in der gleichen Nacht umsetzt. Fred reagiert geschockt, ist sich seiner Schuld aber bewusst und macht ihr keine Vorwürfe. Doch das hilft Kirsten nicht mehr, die gegen die moralischen Prämissen verstoßen hatte. Mitten im Verkehr steigt sie aus seinem Auto und verschwindet verzweifelt in der Menge. Die Botschaft an die weiblichen Betrachter war eindeutig. Schon zu Beginn des Films spricht ein auf St.Pauli gegen die Verrohung der Sitten öffentlich auftretender Pfarrer direkt die Frauen an, die mit 20 nur an ihr Vergnügen denken, mit 30 aber ohne Freunde alleine in einer Dachkammer hausen werden. 

„Ein Film voller Pseudoproblematik, der seine Illustriertenherkunft nicht verbergen kann.“ (Lexikon des internationalen Films)

„Die zornigen jungen Männer“ wurde von der Filmkritik wenig positiv besprochen, aber das erklärt nicht, warum der unterhaltsame und abwechslungsreiche, zudem prominent besetzte Streifen fast vollständig aus dem Kino-Gedächtnis verschwand. So inkonsequent seine Mischung aus moralischem Zeigefinger und Gesellschaftskritik sein mochte, sie entsprach dem damaligen Zeitgeist. Deutlich wird in Wolf Rillas Film, dass die „sexuelle Revolution“ 1960 schon voranschritt. Freds Aufforderung an Kirsten griff früh einen Slogan aus den 68ern auf, wurde hier aber noch als negatives Beispiel eines dekadenten Lebenswandels hingestellt. Geholfen hat es nicht. Dem Film erging es wie vielen „Moral-Filmen“ seiner Zeit, die einerseits vor den Verwerfungen einer sich wandelnden Sozialisation warnten, gleichzeitig aber die Sex-Thematik als Aufhänger nutzten. Kombiniert mit der Kritik an einem Wirtschaftswunder-Kapitän – so dezent und wenig generell diese auch ausfiel – wagte sich Rilla damit gleich zweifach auf vermintes Feld. Offensichtlich zu früh, aber heute ein sehr guter Grund, den Film wieder zu entdecken. 

"Die zornigen jungen MännerDeutschland 1960Regie: Wolf RillaDrehbuch: Will Berthold (Roman), Darsteller : Hansjörg Felmy, Joachim Fuchsberger, Horst Frank, Dawn Addams, Hans Nielsen, Gisela Tantau, Armin Dahlen, Laufzeit : 83 Minuten

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen