Montag, 19. Dezember 2016

Auf Wiedersehen am blauen Meer (1962) Helmut Weiss

Andreas Pucher (Toni Sailer) poussiert erst mit Vroni (Monika Jobst)...
Inhalt: Andreas Pucher (Toni Sailer) kommt auf seinem Weg durch sein Jagdrevier zu einem hoch in den Bergen gelegenen Hof, wo er freundlich von Vroni (Monika Jobst) begrüßt wird. Der fesche junge Mann flirtet mit der blonden Bauerntochter, was deren Vater nicht gefällt, denn Andreas besitzt einen schlechten Ruf als Casanova. Im letzten Jahr hatte er noch mit Christa (Eva Astor), der Nichte des Dorfwirts, angebändelt. Doch davon lässt sich der Jäger nicht beirren, denn er hat noch keine Lust sich festzulegen, weshalb er auch die nächste Gelegenheit nicht auslässt, die sich ihm im nahe gelegenen Wald überraschend bietet. 

...dann lässt er bei Manuela Grassi (Hannelore Cremer) nicht mehr locker
Ein weißes Mercedes-Cabriolet mit einer hübschen und sehr gut angezogenen Dame hinter dem Steuer war im Waldboden stecken geblieben. Andreas hilft ihr und erfährt, dass die Italienerin Manuela Grassi (Hannelore Cremer) in der Nähe ein altes Schloss geerbt hat, in dem sie während ihrer Kindheit einige Jahre verbracht hatte. Um ihr den Weg zu zeigen, steigt er zu ihr und besichtigt gemeinsam mit ihr das verlassene, aber gut erhaltene Gebäude. Ihm gefällt nicht nur die junge Frau, auch das sie aus Italien kommt weckt sein Interesse. Er träumte schon lange davon, endlich mehr von der Welt zu sehen und lässt seinen ganzen Charme spielen. Die selbstbewusste Manuela weist ihn in die Schranken, aber als er nachts plötzlich in ihrem Hotelzimmer steht, ergibt sie sich seinem Drängen… 


"Das blaue Meer" - Sehnsuchtsbegriff des Tourismusfilms 

Jugoslawisches Filmplakat mit Hannelore Cremer und Toni Sailer
"Das blaue Meer" symbolisierte in den 50er Jahren das Fernweh der Deutschen nach südlichen Gestaden. Mit der zunehmenden Stabilisierung des Arbeitsmarkts in den 50er Jahren und einem damit einhergehenden bescheidenen Wohlstand wuchs auch der Wunsch zu verreisen. Zuerst beschränkte man sich auf den Urlaub im eigenen Land - eine Entwicklung, auf die der "Heimatfilm" ab Mitte der 50er Jahre vermehrt mit der Betonung von Sehenswürdigkeiten und folkloristischen Elementen reagierte ("Die Fischerin vom Bodensee" (1956)) - aber schon wenige Jahre später strebten die Deutschen auch nach weiter entfernten Zielen. Über die Alpen nach Italien oder Jugoslawien, an das Mittelmeer.

Zwar spielte "Auf Wiedersehen am blauen Meer" größtenteils in Italien, ist aber als Tourismusfilm eine Mogelpackung. Das "blaue Meer" ist hier ein Versprechen, das sich als Illusion herausstellt. Trotz der Schlagermusik und touristischen Landschaftsaufnahmen, ist der Film dem Heimatfilm näher. Das erste Drittel zitierte klassische Motive des Genres als Hort der Vertrautheit und Sicherheit, um den Kontrast zur Dekadenz und sexuellen Unmoral am Zielort in Italien stärker hervorzuheben. "Auf Wiedersehen am blauen Meer" ist ein Sammelsurium verschiedener Einflüsse und war hierzulande offensichtlich kein Erfolg, wie auch am jugoslawischen Filmplakat deutlich wird, denn auf Deutsch ist keines im Netz zu finden. Aus heutiger Sicht fasziniert der Film in der Spiegelung einer sich im Wandel befindlichen Sozialisation. Am Beispiel der fünf Filme, die zwischen 1957 und 1966 das "blaue Meer" (einmal die "blaue Adria") in ihrem Titel führten, zeichnet der Blog diese Entwicklung nach:

                 - "Unter Palmen am blauen Meer" (1957)
                 - "Das blaue Meer und Du" (1959)
                 - "Mein Schatz komm mit ans blaue Meer" (1959)
                 - "Auf Wiedersehen am blauen Meer (1962)
                 - "Komm mit zur blauen Adria" (1966) 


Heimatidyll: Jäger mit Hund in den Schweizer Alpen
Nach drei Jahren tauchte erstmals wieder das "Blaue Meer" in einem Filmtitel auf. Nicht nur im Filmgewerbe eine lange Zeit, auch die seit Mitte der 50er Jahre stark anwachsende Zahl deutscher Urlauber mit Ziel Südeuropa hatte inzwischen zu einer Gewöhnung geführt. Schon Ende der 50er Jahre ("Mein Schatz komm mit ans blaue Meer", 1959) hatte es im Schlager- und Tourismusfilm nicht mehr genügt, allein die Schönheit der Mittelmeerlandschaft ins Bild zu rücken, es bedurfte zusätzlich einer möglichst abwechslungsreichen Story. Das "blaue Meer" wurde zwar noch besungen, war aber als Kulisse in den Hintergrund gerückt. Warum die Macher um Regisseur Helmut Weiss den Begriff hier wieder hervorholten, blieb vorerst ihr Geheimnis?! – Erst nach einer guten halben Stunde wechselt der Handlungsort nach Italien ans Mittelmeer, genauer nach Neapel und auf die Insel Ischia, aber die Landschaft selbst blieb austauschbar. Die Story um den Jäger Andreas Pucher hätte auch vor einem anderen Hintergrund erzählt werden können – irgendwo in der Fremde.

Die Ferne: Jäger im Cabriolet in Neapel
Seine Entstehungszeit in den frühen 60er Jahren ist dem Film in den ersten Minuten nicht anzusehen, so traditionell bediente „Auf Wiedersehen am blauen Meer“ klassische Heimatfilm-Mythen. Der Jäger Andreas Pucher (Toni Sailer) kommt beim Weg durch sein Revier an einem hoch gelegenen Bergbauernhof vorbei, wo die junge Magd Vroni (Monika Jobst) ihre schwere Arbeit an der Seite ihres alten Vaters verrichtet. Vor der Kulisse eines beeindruckenden Bergpanoramas drückt sie sehr vorsichtig ihre Gefühle für den feschen jungen Mann aus. Doch erste Schatten stören das Idyll. Der Vater hält nichts von dem jungen Burschen, der im Ruf eines Casanova steht. Im Jahr zuvor hatte er mit Christa (Eva Astor), der Nichte des Dorfwirts, angebändelt, jetzt poussiert er mit seiner Tochter. Wenig später dringen weitere Störungen in das Idyll. Ein Mercedes-190er Cabriolet – die Anspielung auf „Rosemarie Nitribitt“ konnte kein Zufall sein - steht mitten im Wald und steckt fest. Am Steuer sitzt Manuela Grassi (Hannelore Cremer), eine schöne mondäne Erscheinung aus Italien, die in der Umgebung ein altes Schloss geerbt hat. Vor allem aber ist sie für die Menschen hier „die Ausländische“.

Eva Astor singt "Casanova bye bye" im Berghotel ihrer Heimat...
Immer deutlicher zieht die Gegenwart in die Schweizer Berge. Manuela Grassis Hotelzimmer erfüllt gehobene Ansprüche, im Restaurant wird eine moderne Küche gepflegt und die damals 18jährige Sängerin Eva Astor in ihrer ersten Filmrolle singt ihren Hit von 1961 „Casanova bye bye“. Gemeint ist hier Andreas Pucher, der sich alle Mühe gibt, diesem Ruf gegenüber Manuela Grassi gerecht zu werden. Zu ihr wird Christa später in Italien sagen, dass Andreas sie nie leicht bekleidet gesehen hätte, obwohl sie mit ihm im letzten Sommer zusammen war. Ein unglaubwürdiges Hervorheben altmodischer Anstandsregeln, angesichts der Skrupellosigkeit, mit der Andreas gen Manuelas Bett strebt. Diese hatte zuvor in den Augen des Jägers „Fernweh“ erkannt – und damit dessen Lust, mehr als nur die heimischen Berge kennenzulernen. Aber sie hatte ihn weder darin bestärkt, seine Heimat zu verlassen, noch wollte sie sich auf ihn einlassen. Allein ihre Anwesenheit genügte schon als Verheißung.

„buntes Routinestück, in dem nichts zusammenpassen will“

...und in Manuala Grassis Nachtclub...
schrieb der „film-dienst“ und traf damit ins Schwarze, denn die Anlage des Drehbuchs hätte die Phase im deutschen Unterhaltungsfilm, Anfang der 60er Jahre, nicht genauer reflektieren können. Der Heimatfilm befand sich seit Jahren in einer Abwärtsspirale (siehe "Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969"). Auch die Kombination mit dem Schlagerfilm, der zunehmend die Fernseh-Konkurrenz zu spüren begann, hatte daran nichts ändern können und dessen 50er Jahre Ableger „Tourismusfilm“ hatte den Reiz des Exotischen schon lange verloren. Gleichzeitig ließen sich die soziokulturellen Veränderungen nicht mehr verdrängen. Die sexuelle Liberalisierung schritt ebenso unaufhaltsam voran, wie sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft veränderte – eine Entwicklung, die Ängste auslöste, und in Folge von "Die Halbstarken" (1956) eine Welle an Filmen hervorbrachte, die vor dem moralischen Verfall warnten, gleichzeitig diesen aber publikumswirksam bebilderten. Ein Trend, der sich in den 60er Jahren zunehmend in Richtung gewalttätiger Kriminalfilme und einer freizügigeren Optik fortsetzte, die die Grundlage für den Sexfilm schuf.

...vor den Augen der reichen Sommergäste
„Auf Wiedersehen am blauen Meer“ vereinte alle diese Einflüsse. Erfüllen die anfänglichen Lieder von Eva Astor und das fröhliche Duett von Hannelore Cremer und Toni Sailer auf ihrer Fahrt nach Italien noch die Erwartungen an einen Schlagerfilm, ändern die musikalischen Beiträge mit dem Standortwechsel gen Süden ihren Charakter. Exotische Tänze mit leicht geschürzten Protagonisten treten in den Vordergrund und die Solo-Beiträge von Hannelore Cremer und Eva Astor (erneut „Casanova bye bye“) verbreiten Nachtclub-Feeling. Noch mehr entfernt von seiner ursprünglichen Intention, Reiselust bei den Betrachtern zu erzeugen, hatte sich der südländische Hintergrund der Handlung. Bei den Gästen, die auf Ischia in der Residenz von Manuela Grassi den Sommer verbringen, handelt es sich um keine Pauschalurlauber, sondern um eine internationale Ansammlung schwerreicher Männer und Frauen. Dekadenz und sexuelle Gier sind gegenwärtig, weshalb die Ankunft des jungen Liebhabers an der Seite der Hausherrin bei den Männern eine abschätzige Haltung erzeugt, bei den meist älteren Frauen dagegen großes Interesse.

Das „blaue Meer“ als Menetekel

Anulfi (Rolf Wanka) und Bob (Regisseur Helmut Weiss) planen Böses
Gegenteilig ist die Reaktion der Sommerfrischler, als Christa wenige Tage später ebenfalls auf Ischia ankommt und besonders bei dem arabischen Waffenhändler Anulfi (Rolf Wanka) Begehrlichkeiten weckt. Unabhängig von Andreas hatte die Begegnung mit der italienischen Erbin in den Schweizer Bergen auch bei der jungen Frau den Wunsch bestärkt, nach Italien zu gehen. Statt im Hotel ihres Onkels zu arbeiten, möchte sie eine Karriere als Sängerin beginnen. Manuela Grassi hatte ihr ein Engagement in einem ihrer Clubs in Aussicht gestellt und so kommt es für Andreas und Christa zu einem überraschenden „Wiedersehen am blauen Meer“. Das „blaue Meer“, stellvertretend für Schönheit und Fernweh, wurde hier zu einem Ort des Schreckens und moralischen Niedergangs. Bewusst sollte der positiv klingende Filmtitel über die Intention der drei am Drehbuch beteiligten Autoren hinwegtäuschen. Der Sehnsuchtsort erweist sich als Illusion. Christa und Andreas müssen erfahren, dass in der Fremde nichts Gutes auf sie wartet.

Andreas will mit Christa weg vom "blauen Meer" zurück in die Heimat
Wolf Neumeister, schon während der Zeit des Nationalsozialismus sehr erfolgreich („Kampfgeschwader Lützow“ (1941)), blieb in den 50er Jahren einer der aktivsten Film-Autoren. Allein in den vier Jahren vor 1962 wirkte er an den Drehbüchern zu zwölf Filmen mit, größtenteils Komödien („Immer die Radfahrer“, 1958), aber auch zeitgenössische Dramen wie „Der Mann, der sich verkaufte“ von 1959. 1962 kamen noch „Wilde Wasser“ und „Der Pastor mit der Jazz-Trompete“ nach seinen Vorlagen hinzu, die ähnlich im Spannungsfeld von Tradition und Moderne angelegt wurden. Auch sein Co-Autor Richard Billinger machte Karriere während der Zeit des Nationalsozialismus, zog sich nach dem Ende des Kriegs aber größtenteils aus dem Filmgeschäft zurück. Gemeinsam mit Veit Harlan, mit dem er zuvor „Die goldene Stadt“ (1942) herausgebracht hatte, schrieb er „Hanna Amon“ (1951), bevor 1952 der Heimatfilm „Einmal am Rhein“ nach seinem Drehbuch in die Kinos kam. Entstanden unter der Regie von Helmut Weiss, zu dem er für „Auf Wiedersehen am blauen Meer“ einmalig ans Film-Set zurückkehrte.

Der Arzt Eric (Bob Franco) meint es ernst mit Manuela
Entscheidende Ideengeberin war aber Margarete Reinhardt, die erstmals an einem Film direkt mitwirkte und ihn auch produzierte. In den 60er Jahren sollten noch zwei weitere Filme nach ihren Vorstellungen herauskommen – „St.Pauli Herbertstraße“ (1965) und "Sünde mit Rabatt" (1968), jeweils besetzt mit Eva Astor - die ihre Warnung vor den Folgen einer zunehmend von Unmoral und Dekadenz bestimmten Sozialisation mit größerer Vehemenz fortsetzten. In „Auf Wiedersehen am blauen Meer“ blieb diese Attitüde noch vergleichsweise zurückhaltend. Die Ursache lag außerhalb des vertrauten Terrains und eine Rückbesinnung auf die eigene Heimat versprach Erlösung. Insgesamt endete der Film, der noch die Wende in Richtung einer Kriminalhandlung nahm, versöhnlich. Auch Manuela Grassi, als Geschäftsfrau, die ihre Männer selbstbewusst wählt und offen ihre Sexualität lebt, die provokativste Figur des Films, wurde ein Happy-End gegönnt. Ihr einen adäquaten Mann an die Seite zu stellen, bedeutete, sie auch ihrer eigentlichen Bestimmung als Frau wieder näher zu bringen. Eine Lösung ganz nach dem Geschmack von Margarete Reinhardt.
 
"Auf Wiedersehen am blauen MeerDeutschland 1962Regie: Helmut Weiss, Drehbuch: Margarete Reinhardt, Richard Billinger, Wolf NeumeisterDarsteller : Toni Sailer, Eva Astor, Hannelore Cremer, Joachim Brennecke, Rolf Wanka, Bob Franco, Helmut WeissLaufzeit : 87 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Helmut Weiss:

 "Die Feuerzangenbowle" (1944)
 "Schloss Hubertus" (1954)
 "Drei Mann in einem Boot" (1961)

2 Kommentare:

  1. Ich recherchiere gerade in anderem Zusammenhang über Margarethe Reinhardt. Haben Sie nähere Informationen über sie als Filmproduzentin?

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  2. Herr Wegner, ich kann nur auf diesem Weg reagieren. Dass jemand über Margarethe Reinhardts recherchiert, finde ich äußerst bemerkenswert, denn ich hielt sie für völlig vergessen. Aufgefallen ist sie mir im Zuge meiner Recherche zum Übergang vom Heimatfilm zum Sexfilm im deutschen 60er-Jahre-Kino. Leider habe ich ihren zweiten Film "St.Pauli Herbertstraße" auch noch nicht zu Gesicht bekommmen. Ich kann Ihnen entsprechend nicht weiter helfen, sondern wäre selbst sehr an Hintergründen interessiert, gerade auch im Zusammenhang mit ihrer moralisierenden Haltung, die tief in die bundesrepublikanische Vergangenheit blicken lässt

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