Mittwoch, 23. Oktober 2013

Ich - ein Groupie (1970) Erwin C. Dietrich

Inhalt: Vicky (Ingrid Steeger) wird Zeuge eines Live-Rock-Concerts in einem Londoner Park und setzt sich zu den anderen Zuschauern auf den Rasen. Der Sänger Stewart (Stewart West) wird aufmerksam auf die hübsche Blondine und fragt sie, ob sie nicht Lust hätte, nach dem Konzert noch auf eine kleine Feier mitzukommen. Klar hat sie Lust und sie landen in einer Londoner Wohnung, wo es sich die Musiker und ihre bevorzugten weiblichen Anhänger gemütlich machen. Erstmals Hasch rauchend gibt sich Vicky dem attraktiven jungen Mann hin, aber als sie danach gleich von Liebe redet, wird Steward schnell einsilbig. Er verspricht ihr, sie auf eine Tournee, die die Band bis nach Berlin führen wird, mitzunehmen, versetzt Vicky aber am nächsten Tag und kommt nicht zum verabredeten Treffpunkt.

Von Vivian (Vivian Weiss) erfährt sie, dass die Band schon abgereist ist, und sie die Angelegenheit locker nehmen sollte. Doch die verliebte Vicky will Steward wieder sehen und ihm hinter fahren, was sich auf Grund ihrer knappen Geldmittel als schwierig herausstellt. Doch Vivian hat eine Idee – sie will sich von ihrem restlichen Geld in Amsterdam Hasch kaufen und es teurer in der Schweiz verkaufen. Nur müssen sie dafür noch über die Grenze kommen…


Bevor Erwin C.Dietrich bei "Hinterhöfe der Liebe" (1968) erstmals auf dem Regie-Stuhl Platz nahm, hatte er schon intensive Erfahrungen im noch jungen Erotik-Film-Genre gesammelt. Als Produzent förderte er früh den späteren "Schulmädchen-Report" - Regisseur Ernst Hofbauer ("Schwarzer Markt der Liebe" (1966)) und holte José Bénazéraf nach Hamburg, wo sich der für seine stylischen Erotik-Filme bekannte französische Regisseur dem St.Pauli Milieu widmete ("St. Pauli zwischen Nacht und Morgen"(1967)). Nur wenig später erzielte er mit der Guy De Maupassant-Verfilmung "Die Nichten der Frau Oberst" (1968) einen großen Erfolg in den deutschen Kinos, der den Schweizer Produzenten, Drehbuchautoren und Regisseur zu einem der produktivsten Erotik-Filmer der 70er Jahre im deutschsprachigen Raum werden ließ - allein als Regisseur verantwortete er zwischen 1968 und 1982 43 Langfilme.

Erwin C.Dietrich kannte keine Hemmungen, die hohe Nachfrage besonders in den 70er Jahren mit Filmen zu befriedigen, die nach dem immer gleichen Strickmuster Sex-Szene an Sex-Szene reihten, ohne das von einer Story gesprochen werden konnte. "Blutjunge Verführerinnen" (1971 - 1972) kamen gleich in drei Teilen heraus, um sich mit "Die Stewardessen" (1971) und "Blutjunge Masseusen" (1972) auf der Leinwand abzuwechseln. Entsprechend erstaunt es nicht, dass der Überblick verloren ging und Dietrichs Filme fast ausschließlich mit der Phase der Soft-Sex-Film-Ära des Vor-Porno-Zeitalters identifiziert werden, die bis heute generell als billiges Schmuddelkino betrachtet wird. Auch Ingrid Steegers Karriere-Beginn wurde schon 1973, als sie in der Fernsehserie "Klimbim" als erotische "Ulknudel" groß herauskam, nur noch verschämt betrachtet, meist mit dem Hinweis auf den "Schulmädchen-Report", obwohl sie nur im 4. und 5. Teil eine Nebenrolle innehatte, während sie in Dietrichs frühen Filmen häufig besetzt wurde.

"Ich - ein Groupie" sollte 1970 noch vor dem großen Boom erotischer Konfektionsware als us-amerikanische/schweizer Co-Produktion entstehen, unter der Regie von Jack Hill, den Erwin C. Dietrich aber vollständig ersetzte, so dass dieser nicht einmal mehr in den Credits auftauchte. Vielleicht steht deshalb ein englisches Mädchen im Mittelpunkt, dass in einem Londoner Park ihre Begeisterung für einen Rock-Musiker entdeckt, in den sie sich spontan verliebt, aber Dietrich verließ schnell Swinging-London und erreichte über den Umweg Amsterdam-Zürich das westdeutsche Staatsgebiet. Für Ingrid Steeger wurde Vicky, die aus Liebeskummer zu einem Groupie wird, ihre erste große Filmrolle in einem Genre, das von seinen vielen, nur nach optischen Reizen ausgewählten, austauschbaren Darstellerinnen lebte. Dank ihrer körperlichen Vorzüge gelang es ihr zwar aus der Masse heraus zu stechen, aber ihre Rolle in "Ich - ein Groupie" blieb in der Konzentration auf eine weibliche Hauptdarstellerin trotzdem eine seltene Ausnahme.

Als Engländerin wirkte die Berlinerin Ingrid Steeger verständlicherweise nur wenig authentisch, aber dieser internationale Anstrich spielte in "Ich - ein Groupie" nur eine äußerliche Rolle, denn Dietrich konzentrierte sich stattdessen auf die bundesdeutsche Szene, weshalb er mit "Murphy Blend" und "Birth Control" zwei frühe deutsche Rock-Bands für den musikalischen Hintergrund sorgen ließ und einige der Musiker auch als Schauspieler mitwirkten. Angesichts des schon 1983 verstorbenen Gitarristen Bruno Frenzel, der neben dem Schlagzeuger Bernd Noske entscheidend die Musik "Birth Controls" prägte, und einer Szenerie, die ein authentisches Bild des Lebensgefühls dieser Zeit wiedergibt, wie es im deutschsprachigen Film nur selten zu finden ist, stellt sich die Frage, warum "Ich - ein Groupie" nicht aus dem Sex-Film-Einerlei heraustrat? Anders als üblich wiederholten sich die Sex-Szenen nicht in ewig gleicher Form, sondern integrierten sich in eine Story, die zunehmend ihren naiven "Freie Liebe" - Charakter verliert.

Die heutige, meist oberflächlich folkloristische Sicht auf die Jahre nach 1968 verkennt, dass die hier gezeigten Abläufe damals noch vollständig tabuisiert waren. Zwar feierten Sex-Filme wie der "Schulmädchen-Report" (1970) große Erfolge im Kino, aber während diese häufig einen verlogenen dokumentarisch-wissenschaftlichen Gestus vorschoben, war Dietrichs Film wesentlich näher an der Realität einer sich verändernden Gesellschaft, auch wenn manche Szenen - etwa in der die Mädchen den Hasch in ihren Höschen schmuggeln - heute lächerlich wirken. Besonders die minutenlangen Einstellungen, in denen Vivian (Vivian Weiss) ekstatisch zu der Rock-Musik tanzt oder "Birth Control" in einem Münchner Club aufspielt, sind sehr nah am damaligen Zeitgeist, weshalb die ewige Diskussion, welche Fassung wie lange gekürzt wurde, vollständig am Film vorbei geht. Im Gegenteil wirkt die kompakte 75minütige Fassung stimmig, während längere, vielleicht explizitere Sex-Szenen mit Ingrid Steeger keinen Qualitätsgewinn versprechen.

Anders als viele typische Sex-Filme dieser Zeit, die sich nur an den freizügiger werdenden moralischen Standards orientierten und daraus die Mär ständig promiskuitiver junger Frauen strickten, verfügt "Ich - ein Groupie" über eine deutlich gesellschaftspolitischere Dimension und stellte die bürgerlichen Schreckgespenste - Drogenkonsum, Rockmusik, Rockerbanden, schwarze Messen und freie Liebe - gesammelt in den Mittelpunkt des Geschehens. Scheinbar folgerichtig wird die hübsche Vicky sexuell und emotional ausgebeutet, von Rockern vergewaltigt und stirbt im Drogenrausch auf Berlins Straßen. Doch Dietrichs Film sollte nicht als grundsätzliche Warnung missverstanden werden, denn weniger die konstruiert wirkende Story um Vicky bleibt in Erinnerung als das der bürgerlichen Ordnung widersprechende Lebensgefühl, dass die vielen nicht professionellen, unmittelbar aus der Szene stammenden Mitwirkenden hier vermitteln können und dessen exotische Attraktivität heute nur noch schwer ermessen werden kann.

Signifikant dafür ist der "Birth Control" – Songtext: "Be a dragger, shovel music in your home - and you never be alone. Get high and higher, just like a flyer, high in the clouds and never come down". Der Song trägt den Titel “No drugs“.

"Ich - ein Groupie" Schweiz / Deutschland 1970, Regie: Erwin C. Dietrich, Drehbuch: Erwin C. Dietrich, Jack Hill, Darsteller : Ingrid Steeger, Vivian Weiss, Rolf Eden, Stewart West, Bernd Koschmidder (Birth Control)Laufzeit : 75 Minuten 


weitere im Blog besprochene Filme von Erwin C.Dietrich:

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