Sonntag, 27. November 2016

Verdammt die jungen Sünder nicht (Morgen beginnt das Leben, 1961) Hermann Leitner

Dr. Behrmann (Josef Kastrel) bemüht sich um die junge Mutter (Cordula Trantow)
Inhalt: Die Schreie ihres neugeborenen Babys können Silvia (Cordula Trantow) kein Lächeln ins Gesicht zaubern, denn die 17jährige hatte es nicht gewollt. Aus einem ärmlichen Elternhaus stammend, der Vater schon lange abgehauen, hatte sie versucht mit einer guten Ausbildung diesem Teufelskreis zu entkommen. Doch dann wurde sie schwanger und der Kindsvater verließ sie. Jetzt befindet sie sich in einer Abteilung für junge unverheiratete Mütter, die von Dr. Behrmann (Josef Kastrel) geleitet wird, der sich für seine Patientinnen einsetzt. Er möchte Silvia die Freude am eigenen Kind vermitteln, aber sie tut sich schwer. 

Ruth (Corny Collins) findet Freds (Michael Heltau) Cabrio cool
Ganz anders verläuft dagegen das Leben der Gymnasiastin Ruth (Corny Collins), die wohlbehütet aufwächst. Ihre Eltern Oskar (Werner Hinz) und Vera (Magda Schneider) sehen es zwar nicht gern, wie freizügig sich ihre Tochter anzieht und mehr Party als Schule im Kopf hat, aber sie wollen ihr auch Freiheiten lassen. Nachdem Ruth betrunken und ohne Führerschein einen Autounfall mit dem Wagen eines Freundes verursacht hatte, ändert sich ihre Strategie. Besonders ihr Vater hält es für notwendig, die Zügel anzuspannen, was Ruth aber nur noch tiefer in einen Kreis von Gaunern hineintreibt, die ihr Geld mit Autodiebstählen und Sex-Fotos verdienen… 


Pitt (Rainer Brandt) und Fred haben neue Objekte im Blick:
Regisseur Hermann Leitner, Jahrgang 1927, war Mitte 30 als er nach 1962 begann, nur noch für das Fernsehen zu arbeiten - nicht nur gemessen am Durchschnittsalter von Regisseuren noch ein junger Mann. Trotzdem hatte er zu diesem Zeitpunkt schon mehr als zehn Kinofilm in einer Art Querschnitt des populären Kinos in der BRD der späten 50er Jahre abgedreht: Heimatfilm ("Pulverschnee nach Übersee", 1956), Kriminalkomödie ("Lilli - ein Mädchen aus der Großstadt", 1958) und Musik-/Tourismusfilm ("Glück und Liebe in Monaco", 1959). Sogar ins exotisch, abenteuerliche Fach hatte er sich mit der Fortsetzung von "Liane, das Mädchen aus dem Urwald" (1956) gewagt. "Liane: die weiße Sklavin" (1957) wurde ebenso ein Erfolg an der Kinokasse wie seine anderen, meist kunterbunten Unterhaltungsfilme. 

Gymnasiastinnen - Ruth und ihre Klassenkameradin Eva (Getraud Jesserer)
Umso mehr fallen die drei Film-Dramen aus dem Rahmen, mit denen Hermann Leitner Anfang der 60er Jahre seine Kino-Karriere beendete, sieht man von dem Heimatfilm „Heimweh nach dir, mein grünes Tal“ (1961) einmal ab (bei der Veröffentlichung von „Liane, die Tochter des Dschungels“ im selben Jahr handelte es sich um einen Zusammenschnitt der beiden 50er Jahre Filme). Wartete der erste dieser drei Filme "Wegen Verführung Minderjähriger" (1960) noch mit einem veritablen Kino-Star auf - Hans Söhnker - und integrierte Elemente des damals populären Schlagerfilms, nahm dessen Nachfolger den trockenen Charakter eines Schul-Lehrfilms an. „Verdammt die jungen Sünder nicht“, der in Leitners Heimatland Österreich gleichzeitig unter dem Titel „Morgen fängt das Leben an“ herauskam, erzählt die Geschichte zweier 17jähriger Mädchen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, begleitet von den analytischen Betrachtungen eines allgegenwärtig scheinenden Arztes.

Dr. Behrmanns Ratschläge beginnen zu fruchten...
Neben diesem existieren einige weitere Berührungspunkte im Leben der beiden jungen Frauen. Gegen Ende des Films landen sie sogar in derselben Schlafunterkunft im städtischen Fürsorgeheim, ohne sich näher kennenzulernen. Das war auch nicht beabsichtigt, denn ihr jeweiliger Entwicklungsprozess sollte exakt entgegengesetzt verlaufen und sowohl Gefahren wie Chancen vermitteln – ganz gemäß dem deutschen Verleihtitel „Verdammt die jungen Sünder nicht“. Als „Sünderin“ taucht gleich in der ersten Einstellung Silvia Reimers (Cordula Trantow) auf, die gerade ihr Kind zur Welt bringt. Unehelich natürlich, vom Vater keine Spur. Ein Fall für das Jugendamt, das sich der jungen Frau verständnisvoll annimmt. Dr. Behrmann (Josef Kastrel) weiß zwar von Silvias schwieriger Herkunft - ihre arbeitslose Mutter (Gaby Banschenbach) hatte gerade selbst erst ein Kind von ihrem Liebhaber bekommen - aber er gibt die Hoffnung nicht auf, dass aus dem grundanständigen Mädchen noch etwas werden kann.

...und Silvia nimmt sich zunehmend ihres Kindes an
Schon die Besetzung dieser Rolle mit der damals 18jährigen Cordula Trantow gab die Richtung vor, denn sie hatte in "Wegen Verführung Minderjähriger" die brave Teenager-Tochter eines Lehrer-Ehepaars gespielt, die noch ohne die frühreife Attitüde ihrer von Marisa Mell verkörperten Klassenkameradin auftrat. Fast ist man geneigt, zu hinterfragen, wie sie schwanger werden konnte, so bescheiden und sexuell zurückhaltend sie hier erneut spielte. Nicht überraschend beginnt sich Silvia langsam an ihren kleinen Sohn zu gewöhnen, den sie zu Beginn noch zur Adoption freigeben wollte, und macht sich auch auf die Suche nach dem Kindsvater, der sie verlassen hatte. Es ist Hermann Leitner, der diesmal auch am Drehbuch mitwirkte, zugute zu halten, dass er auch die Schwierigkeiten dieses Prozesses einbezog, aber das lässt nicht die Idealisierung eines „gefallenen Mädchens“ übersehen, dass hier als unrealistisches Beispiel für eine gelungene Resozialisierung herhalten musste.

Ihre Tochter bereitet ihnen Sorgen (Werner Hinz und Magda Schneider)
Das verlieh dem Film einen verständnisvollen Habitus, der die gewünschte pädagogische Wirkung unterstützen sollte. Eine übliche Strategie im „Moral-Film“ der späten 50er/frühen 60er Jahre, der der vom Absturz bedrohten Figur immer ein positives Beispiel gegenüberstellte. Als „gefährdet“ gilt hier Ruth Jüttner, gespielt von der inzwischen schon 27jährigen Corny Collins, seit Jahren eine feste Größe im so genannten „Halbstarken-Film“ ("Schmutziger Engel" (1958)). Leitners Intention wird an der Gestaltung des sozialen Umfelds deutlich, in dem die Gymnasiastin Ruth aufwächst. Eine Art Vorzeigefamilie in der BRD, Anfang der 60er Jahre: Vater (Werner Hinz), gut verdienender Angestellter, streng und gerecht, Mutter (Magda Schneider, hier in ihrer letzten Kinorolle zu sehen), Hausfrau, ausgleichend und nachsichtig, gepflegte Wohnung, geordnete Verhältnisse.

Ruth landet auf der Polizeiwache
Und selbstverständlich kümmern sie sich um ihre kecke Tochter und versuchen ihr die Flausen auszutreiben. Als Ruth eifersüchtig, weil sich der von ihr bevorzugte Kerl um eine Andere kümmert, mit dessen VW Käfer losfährt - betrunken und ohne Führerschein - landet sie schnell am nächsten Laternenpfahl. Für die teure Reparatur will Vater Oskar sie in die Pflicht nehmen, damit sie die Folgen ihres Fehlverhaltens spürt. Eine nachvollziehbare pädagogische Maßnahme, die bei Ruth aber nicht fruchtet. Anstatt ihren Stubenarrest abzusitzen, haut sie heimlich ab, um in einer stadtbekannten Bar selbst Geld für die Reparatur zu verdienen. Ganz harmlos natürlich, wie ihr Fred (Michael Heltau) versichert. Ein Typ mit Sportwagen, der bei Ruth sehr gut ankommt, und gemeinsam mit seinem Freund Pitt (Rainer Brandt) in Leitners Film als Sündenbock herhalten muss. Für Heltau ("Schloss Hubertus", 1954) ein eher untypisches Rollenfach, aber Rainer Brandt war früh auf den verschlagenen Mädchenverführer festgelegt. Hier betätigte er sich mit Autoschiebereien und als Fotograf von Nackt-Aufnahmen. Einen Job, den er in seiner Rolle in "Straßenbekanntschaften auf St.Pauli" (1968) wiederholte.

Vater Oskar Jüttner erweist sich als beratungsresistent und setzt auf Härte
Die Botschaft dahinter war klar. Da konnte das Elternhaus noch so seriös sein – gegen die Versuchungen von Sex und Materialismus half bei schweren Fällen wie Ruth nur professionelle Hilfe. Doch anstatt auf die pädagogischen Ratschläge des Doktors einzugehen, der der unverheirateten Mutter Silvia den Weg in Richtung eines geordneten Lebens weisen konnte, setzt Vater Oskar nur auf mehr Strenge und bringt seine Tochter damit auf direkten Weg ins staatliche Fürsorgeheim, aus dem sie bei erster Gelegenheit wieder ausbricht. Der tiefe Fall der Ruth wurde in „Verdammt die jungen Sünder nicht“ genauso zugespitzt wie die Resozialisierung Silvias. Ein Hinterfragen ihrer Situation, basierend auf ihrer bürgerlichen Erziehung, findet bei Ruth nicht einmal ansatzweise statt. Selbst als ihre Klassenkameradin Eva (Gertraud Jesserer) davor zurückscheut, mit ihr zu Pitt und Fred in ein Haus zu gehen, wo diese angeblich Modefotos von ihnen machen wollen, weckt das kein Misstrauen bei ihr.

Ruth lässt sich von Pitt und Fred zu gewagten Aufnahmen überreden
Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, wieso ein junger Regisseur wie Hermann Leitner, nur wenig älter als die handelnden Personen in seinem Film, einen solch konservativen Standpunkt einnehmen konnte? – Ein täuschender Eindruck, denn Leitner nahm den Titel seines Films ernst. Zwar stellte er die vorherrschenden pädagogischen Ansichten nicht in Frage und gab – wie im „Moral-Film“ üblich – der sich verändernden Sozialisation nach dem Krieg die Schuld an der Verführung der Jugend, aber er ließ seine Protagonistinnen nicht fallen. Ein Mann wie Dr. Behrmann, so professoral und altbacken sich sein Verständnis für die Situation der Mädchen heute anhören mag, dachte für die damalige Zeit tolerant. Leitners im Stil einer technischen Versuchsanordnung angelegtes Drehbuch war entsprechend notwendig. Nur mit einer klaren Ausrichtung – hier das gefallene, aber grundanständige Mädchen, dort die in Versuchung geratene junge Frau aus gutem Elternhaus – ließ sich Verständnis beim Publikum aufbauen.

Bei Gerda (Chris van Loosen) ist das nicht mehr notwendig
Ob der Film die angestrebte Wirkung erzielte, ist fraglich, denn Leitner, der mit "Liane: die weiße Sklavin" (1957) schon früh ein einschlägiges Werk mit erotischem Subtext abgeliefert hatte, nutzte den angeprangerten gesellschaftlichen Verfall gleichzeitig als Attraktion. Ein im moralisch konnotierten Problemfilm dieser Phase gewohntes Bild, das den Weg in Richtung Sex-Film in der BRD bereitete, der in seinen Anfängen noch vielfach den pädagogischen Zeigefinger einsetzte ("Sünde mit Rabatt", 1968). Allein die Gewichtung in Richtung optischer Freizügigkeit änderte sich. Doch auch in „Verdammt die jungen Sünder nicht“ besitzen die Szenen um Fred und Pitt schon den höchsten Unterhaltungswert. Zuerst gehört noch Walter (Walter Wilz) dazu, der ihnen die geklauten Autos neu lackiert, aber bei ihm handelt es sich um Silvias Ex-Freund und Vater ihres Kindes, wie sich später herausstellt, weshalb ihm die Läuterung zugestanden wird. Gerda (Chris van Loosen), blonder Mittelpunkt der erotischen Aufnahmen und sexuell aktiv, wurde dieser Prozess dagegen nicht mehr zugetraut, obwohl sie sich eine ernsthafte Beziehung mit Walter wünscht. Soweit ging das Verständnis nun doch nicht. 

"Verdammt die jungen Sünder nicht" Österreich 1961, Regie: Hermann Leitner, Drehbuch: Hermann Leitner, August Rieger, Wolfgang Schnitzler, Darsteller : Corny Collins, Cordula Trantow, Werner Hinz, Magda Schneider, Josef Krastel, Chris van Loosen, Rainer Brandt, Michael Heltau, Gertraud Jesserer, Walter WilzLaufzeit : 81 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Hermann Leitner:

 "Wegen Verführung Minderjähriger" (1961)

1 Kommentar:

  1. Ob der Film die angestrebte Wirkung erzielte, ist fraglich, denn Leitner, der mit "Liane: die weiße Sklavin" (1957) schon früh ein einschlägiges Werk mit erotischem Subtext abgeliefert hatte, nutzte den angeprangerten gesellschaftlichen Verfall gleichzeitig als Attraktion. [...] Allein die Gewichtung in Richtung optischer Freizügigkeit änderte sich.

    Ich weiß nicht, ob Leitner das auch alles so gewollt hat - falls nicht, hätte er sich wohl einen anderen Produzenten suchen müssen. Der Film wurde ja von der Schönbrunn-Film produziert, und deren Chef Ernest Müller war strikt kommerziell orientiert. In einem Brief an seinen Coproduzenten bei ABENTEUER IN WIEN beschrieb er seine Prinzipien mit "größte Sparsamkeit und rationellstes Arbeiten". Zwar ließ er ambitionierten Regisseuren, wie etwa Kurt Steinwendner bei WIENERINNEN, auch ihre Freiheiten, doch nur wenn er sicher war, dass es sich finanziell für ihn lohnte. Dafür sorgte vor Ort oft Müllers Spezi, Prokurist und künstlerischer Mitarbeiter August Rieger, der etwa bei WIENERINNEN die "künstlerische Oberleitung" innehatte (und damit eine Art Aufpasser für Steinwendner war). Ein reines Sozialdrama ohne Massenappeal hätte Leitner in diesem Umfeld kaum drehen können. Bei VERDAMMT DIE JUNGEN SÜNDER NICHT ist Rieger ja nur als Mitautor des Drehbuchs gelistet, aber das schließt nicht aus, dass er (oder Müller selbst) auch am Set nach dem Rechten sah. Nach Müllers Tod 1962 setzte Rieger die strikt kommerzielle Linie als Drehbuchautor und gelegentlich auch als Regisseur fort, wobei er auch Abstecher in den Sexfilm machte. Optische Freizügigkeit hatte es aber auch schon fast 10 Jahre vor VERDAMMT DIE JUNGEN SÜNDER NICHT in WIENERINNEN gegeben, siehe diese Screenshots aus meiner Besprechung des Films.

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