Inhalt:
Mitten in der Nacht stehen zwei Männer auf den Gleisen und halten den
Express-Zug nach Paris an, um auf offener Strecke einzusteigen. Dieser
ungeheure Vorgang wäre normalerweise unverzeihlich, aber das selbstbewusste
Auftreten des Mannes mit Pfeife und im Karo-Mantel, der sich in Begleitung
eines Mannes befindet, bei dem es sich offensichtlich um einen Doktor handelt,
kann nur der berühmte Sherlock Holmes sein – eine Meinung, die auch zwei
verdächtige Gestalten teilen, um bei der ersten Gelegenheit das Weite zu
suchen.
Eine ideale
Ausgangssituation für die beiden englischen Detektive Morris Flint (Hans
Albers) und Macky McPherson (Heinz Rühmann), die ihr letztes Geld für das
Sherlock-Holmes-Outfit ausgegeben hatten, denn so können sie gleich deren Abteil und
Gepäck übernehmen, und lernen zudem die Schwestern Mary (Marieluise Claudius)
und Jane Berry (Hansi Knoteck) kennen, die mit den beiden verschwundenen Herren
verabredet waren. Sie befinden sich auf dem Weg zum Haus ihres verstorbenen
Onkels, dessen Vermögen sie geerbt haben. Flint und McPherson haben anderes im
Sinn und begeben sich in Paris sofort ins beste Hotel am Platze, denn nur wer
groß einsteigt, wird von möglichen Auftraggebern auch ernst genommen – so
zumindest die Theorie…
Angesichts
der vielen Filme, in denen Heinz Rühmann und Hans Albers ab den 30er Jahren bis
zu Albers' Tod 1960 mitwirkten, überrascht es vordergründig, dass sie in dieser
Zeit nur dreimal gemeinsam auftraten - früh in "Bomben auf Monte
Carlo" (1931) und noch einmal 1954 in "Auf der Reeperbahn nachts um
halb eins". Von diesen drei Filmen verfügt nur "Der Mann, der
Sherlock Holmes war" über einen spannungsreichen Hintergrund, der sich
sowohl auf die Qualität des Films positiv auswirkte, als auch begründete, warum
es zu kaum einer weiteren Zusammenarbeit kam. Zum Entstehungszeitpunkt von
"Bomben auf Monte Carlo" war die Rollenverteilung noch eindeutig -
Hans Albers war schon ein großer Filmstar, während Heinz Rühmann noch am Beginn
seiner Karriere stand - und der Dreh zu "Auf der Reeperbahn nachts um halb
eins" basierte Mitte der 50er Jahre auf dem Konsens beider Mimen, wieder
an alte Erfolge anknüpfen zu wollen, womit ein Patt zwischen ihren Rollen
entstand.
"Der
Mann, der Sherlock Holmes war" wurde dagegen zu beider Hochphase als große
Filmstars gedreht, weshalb die nachvollziehbare Besetzung - Hans Albers als
selbstbewusst auftretender, jede Situation beherrschender Sherlock Holmes,
Heinz Rühmann als vorsichtiger, den Meister loyal unterstützender Dr. Watson -
automatisch Konfliktpotential beinhaltete. Ein ähnliches Gleichgewicht bestand
auch hinter der Kamera, denn Regisseur und Autor Karl Hartl war ein Spezialist
für dramatische und fantastische Filme, in denen Hans Albers schon zweimal die
Hauptrolle gespielt hatte ("F.P.1 antwortet nicht" (1932) und
"Gold" (1934)), während Co-Autor Robert A. Stemmle komödiantische
Stoffe bevorzugte und unter anderen für die Rühmann-Filme "So ein Flegel" (1934) und "Heinz im Mond" (1936) verantwortlich war. Im
Nachhinein lässt sich diese Konstellation - so schwierig sie in der Praxis
gewesen sein mag - nur als Glücksfall betrachten, denn sie verband nicht nur
geschickt Kriminalfilm mit Komödie, sondern nahm den jeweiligen Charakter-Typen
der beiden Stars, dank deren gegensätzlichen Spiels, ihre sonst übliche
Einseitigkeit.
Zudem
entzogen sich Hartl und Stemmle vollständig dem nationalsozialistischen
Gedankengut, indem sie schon bei der ersten Einblendung deutlich werden ließen,
welche Vorbilder sie für ihren Film nahmen - die fantasievollen, reich
bebilderten Romanhefte über die Abenteuer von Sherlock Holmes und Dr. Watson.
Zwar ist die Handlung zur Zeit der Weltausstellung in Paris 1937 angesiedelt,
aber darüber hinaus hält sich der Film nicht lange mit Realitäten auf. Munter
mischt er die Nationalitäten, ohne auf Sprachbarrieren oder Stereotypen zu
achten. Im Gegenteil agieren Albers und Rühmann auch als britische Bürger wie
gewohnt und die Pariser Behörde wirkt in ihrer Unfähigkeit und ihrem
Hierarchiedenken wie eine Parodie auf das deutsche Beamtentum. Besonders mit
der einzig eindeutig deutschen Figur Erwin Wutzke (Lothar Geist), ein
naseweiser Junge aus Berlin, der zu Fuß zur Pariser Weltausstellung gegangen
ist und natürlich sofort als Einziger sieht, dass es sich bei den seltenen
Mauritius-Marken um Fälschungen handelt - schließlich besitzt er eine eigene
Briefmarkensammlung - gelang eine äußerst witzige Persiflage auf nervige
Besserwisser.
Entsprechend
ungebremst entfaltet sich ein Geschehen, dass quasi ohne Vorgeschichte
auskommt. Gleich zu Beginn stoppen Albers und Rühmann auf den Gleisen stehend
den Zug Richtung Paris, um als Sherlock Holmes und Dr. Watson die Verbrecher in
Angst und Schrecken zu versetzen. Tatsächlich handelt es sich bei ihnen um die
beiden englischen Detektive Morris Flint (Hans Albers) und Macky McPherson
(Heinz Rühmann), die sich nur rollengerecht verkleidet haben, aber das Spiel
mit der doppelten Identität besitzt hier noch mehr Ebenen. Einerseits agieren
Albers und Rühmann als Hochstapler in gewohnter Form - der Eine ohne Rücksicht
auf Verluste, der Andere schüchtern und schuldbewusst, was sich wunderbar in
dem stimmig integrierten Badezimmer-Duett "Jawoll, meine Herr'n!"
verbindet - andererseits nehmen sie ihre Rollen als Holmes und Watson ernst,
woraus sich ein klassischer Kriminalfall entwickelt, um am Ende in einer
absurden Gerichtsszene zu enden, in der auch Sherlock Holmes-Erfinder Arthur
Conan Doyle (Paul Bildt) eine wichtige Rolle spielt.
Bei
"Der Mann, der Sherlock Holmes war" gelang das seltene Kunststück,
die Qualitäten zweier unterschiedlicher Darsteller kongenial zu einem Geschehen
zu verbinden, dass dank seines Tempos, seiner Einfälle und witzigen Dialoge,
sowie der lässigen filmischen Umsetzung bis heute nichts von seinem
unterhaltenden Charakter verloren hat. Selbst die beiden braven Schwestern Mary
(Marieluise Claudius) und Jane Berry (Hansi Knoteck), die als gleichwertig
besetztes Love-Interest für die beiden Protagonisten eher blass blieben - im
Gegensatz zur mondänen Madame Ganymare (Hilde Weissner), die als selbstbewusst
auftretende Frau nur zur Verbrecherbande gehören konnte - können den guten
Gesamteindruck eines Films nicht schwächen, der für seine Entstehungszeit, aber
auch im Gesamtwerk der beiden Filmstars Heinz Rühmann und Hans Albers einen
hohen Stellenwert einnimmt.
"Der Mann, der Sherlock Holmes war" Deutschland 1937, Regie: Karl Hartl, Drehbuch: Karl Hartl, Robert A.Stemmle, Darsteller : Heinz Rühmann, Hans Albers, Marieluise Claudius, Hansi Knoteck, Hilde Weissner, Laufzeit : 106 Minuten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen